Der Geiseltransport nach Südtirol 1945
Das Hotel „Pragser Wildsee“ in den Pragser Dolomiten (Südtirol) war am Ende des Zweiten Weltkrieges das Ziel des bekannten Transports von prominenten KZ-Häftlingen aus 17 Ländern Europas. Die Sippen- und Sonderhäftlinge wurden als Geiseln von der SS in die „Alpenfestung“ verschleppt, wo sie dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), SS-Obergruppenführer und General der Polizei Dr. Ernst Kaltenbrunner, für Verhandlungen mit den Westalliierten zur Verfügung stehen sollten.
Unter den 139 Gefangenen befanden sich so hochrangige Persönlichkeiten wie der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg mit Frau und Tochter, der frühere französische Ministerpräsident Léon Blum mit Ehefrau, der ehemalige ungarische Ministerpräsident Miklós von Kállay, der Oberbefehlshaber des griechischen Heeres, General Alexandros Papagos, mit seinem gesamten Generalstab, der französische Bischof von Clermont-Ferrand, Gabriel Piguet, der evangelische Pastor Martin Niemöller sowie Familienangehörige des Hitler-Attentäters Oberst im Generalstab Claus Schenk Graf von Stauffenberg.
Doch das Unternehmen scheiterte. Die Deutsche Wehrmacht befreite die Geiseln am 30. April 1945 in Niederdorf aus der Gewalt der SS und brachte sie noch am selben Tag ins Hotel „Pragser Wildsee“, wo ihnen die Hotelbesitzerin Emma Heiss-Hellenstainer die Rückkehr ins Leben ermöglichte.
In diesem Hotel befindet sich heute das Zeitgeschichtsarchiv Pragser Wildsee, das die Erinnerung an das beschriebene Geschehen wachhält. Dort wurden alle verfügbaren Häftlingsaufzeichnungen, Dokumente der SS, Zeugenaussagen, Bücher, Berichte und Aufsätze über den Geiseltransport zusammengetragen, um sie an diesem authentischen Ort der internationalen Forschung weltweit zur Verfügung zu stellen.
Neben dem Geiselgeschehen widmet sich das Zeitgeschichtsarchiv Pragser Wildsee aber auch noch weiteren zeitgeschichtlichen Themen des 20. Jahrhunderts: den Anfängen des Fremdenverkehrs und des Alpinismus im Hochpustertal, der Geschichte des weit über die Grenzen Südtirols hinaus bekannten Hotels, den Kämpfen an der nahen Dolomitenfront im Ersten Weltkrieg und der umstrittenen Alpenfestung im Zweiten Weltkrieg.
Auch der europäische Gedanke spielte bei der Wahl des Ortes eine wichtige Rolle: Im Hotel „Pragser Wildsee“ praktizierten die befreiten Gefangenen erstmals ein vereintes Europa. Das Archiv fühlt sich dem Geist der Häftlinge verpflichtet und möchte in diesem Sinne grenzüberschreitend in Europa wirken.